2. Die hohe (Schreib-)Kunst der Kuratoren

Wenn eine Kuratorin definiert, was Kommunikation im Bereich der Kunst bedeutet, so ist das doch ein recht passender Einstieg in unser Thema. Deshalb hier: Sabine B. Vogel über „Kunst als Kommunikation“.

(Vogel studierte Germanistik und Kunstgeschichte in Bochum, arbeitete in den 1980er Jahren als Redakteurin bei der deutschen Kunstzeitschrift „Wolkenkratzer Art Journal“ in Frankfurt und lebt seit 1995 in Wien. Seit 2003 unterrichtet Vogel als Universitätslektorin an der Universität für Angewandte Kunst in Wien und fungiert seit 2004 als Vorstandsmitglied der AICA, der internationalen KunstkritikerInnen-Vereinigung.)

Mit „Kommunikation“, in der ganzen Vagheit des Begriff, ist ein Minimalinhalt der Schnittmenge Kunstwerk/Betrachter behauptet. Kommunikation ist aber weder Thema noch Material oder Ziel künstlerischer Arbeiten. Individualisierte Wirklichkeitsauffassungen des Lebens werden in Bildsprache, und zwar unter selbstbestimmten und visuell übermittelten „Spielregeln“, übersetzt. Kommunikabel, d.h. intersubjektiv verständlich, ist Kunst dann, wenn die Relationen zu ergründen gesucht und verstanden werden. Damit ist keineswegs zugleich Übereinstimmung, sondern zunächst ein Beteiligungs-Angebot intendiert. Beteiligung ist nicht mit „Kommunikations-Initiator“ gleichzusetzen – vielleicht eher mit „Kontinuitäts-Erwartung“, die dann auch sprachförmig werden kann. Sprachförmig betrifft sowohl die Rezeptions- als auch die Produktionsseite, wie z.B, der Beitrag von Skene & Schäfer, einem Schwimmbad plus der Diagramme, oder die „Öffentliche Pressekonferenz“ von minimal club. Die Frage ist, worauf der Blick geworfen wird. Welcher Art ist diese „Kommunikation“? Der Begriff „Kommunikations-Objekte“ wurde 1973 in der redaktionellen Einleitung des ersten Kunstforum-Bandes (Köln) folgendermaßen bestimmt: es sind Arbeiten, die „für sich gesehen noch keine Kunstwerke sind, sondern erst im Prozess der Benutzung, des Gebrauchs außerhalb rein ästhetischer Betrachtung, zu solchen werden.“ Dass „Benutzung“ heute nicht mehr mit „Kommunikation“ gleichgenannt wird, zeigt die aktuelle Bezeichnung solcher Beteiligung als „Interaktivität“. Damit entfällt auch die betonte Trennung zwischen „ästhetischer Betrachtung“ und „Benutzung“. Die ästhetische Dimension künstlerischer Arbeiten kann nicht ausgeschlossen werden, allerdings kommt ihr auch nicht mehr der traditionelle Höchstrelevanz-Anspruch zu.

Die Art des Beteiligungs-Angebotes in der Ausstellung ist weniger auf einer aktionistischen als auf einer „interventionistischen“ Ebene zu finden – als Angebot eines Handlungsraumes. Die Unterscheidung liegt in der Bestimmung der Handlung (sowohl die Produktion als auch die Präsentation, d.h. dann den Betrachter betreffend): zuschauend (aktionistisch) gegenüber einmischend. Dieser Handlungsraum ist nicht durch Ausschlüsse und Auflösungen – von Differenzen, von Normen – definiert, sondern durch sozial-intervenierende Überschreitungen, die auf der Handlungsebene wirksam werden. Die über „Dissens“ zu bestimmen, wendet sich zugleich von der 70er-Jahre-Terminologie ab, die künstlerische Arbeiten als „sozio-ästhetische Handlungsstrategien“ bezeichnete. Statt Aktionen auf Ziele hin zu kalkulieren, also Kommunikation initiieren zu wollen, werden jetzt Felder von Wechselbeziehungen eröffnet.

Kunst als Initiator von Kommunikation und von sozialen Prozessen kann nicht funktionieren, da zum einen die Arbeiten damit zum Türgriff werden, zum anderen der Handlungsraum nicht topographisch festzulegen ist. In den 70er Jahren entstand aus dem territorialen Verständnis von Kunsträumen ein Institutionen- und Galerienkonflikt. Ideologische Reinheitsgebote forderten die Ablehnung systemgebundener (staatlicher bzw. kommerzieller) Orte – Happening, Fluxus und Perfomance führten aber ungewollt zur Bestätigung topographischer Grenzen.

Die Grenzziehung zwischen Kunst-Wirklichkeit und gesellschaftlicher Wirklichkeit ist in Ausstellungsräumen eine physische Grenze. Als solche ist sie nicht eine räumliche Tatsache mit sozialen Wirkungen, sondern eine soziale Tatsache, sie sich räumlich formt. Diese Grenze ist nicht räumlich-physisch fixiert, sondern soziologisch definiert, deshalb kann sie durch künstlerische Arbeiten und Projekte, die über den Werkbegriff als einer in sich abgeschlossenen Einheit hinausgehen, in Frage gestellt oder überschritten werden. Künstlerische Praxis muss selbst sozialer Prozess sein, um gesellschaftlich wirksam zu werden.

In diesem Zusammenhang muss auch der Begriff „Intervention“ geklärt werden. Von seinem militärischen Ausgangsort wurde „Interventionismus“ 1914 von den Futuristen in den Kunstzusammenhang (im Rahmen von Kriegs-bejahender Propaganda) überführt. „Interventionismus“ benutze ich hier in der Koppelung „sozial-intervenierend“. Bei den beschriebenen Arbeiten wird durch die kleinteiligen Eingriffe dem Begriff die ideologische Belastung und der darin mitklingende Totalitätsanspruch entzogen. Eingriffe, die als soziale Handlung sprachbildlich werden. Einmischende Eingriffe in den sozialen Raum.





Kunstfertig in Schrift und Rede auch der Schweizer Markus Brüderlin. Er wurde im Januar 2006 zum Direktor des Kunstmuseums in Wolfsburg ernannt. Muss man Texte wie diesen – für eine Ausstellung in der Wiener Galerie Nächst St. Stefan – schreiben können, um sich für einen solchen Job zu qualifizieren? Es ist keineswegs so, dass ich ihn um seinen Job beneide, wohl aber um die Fertigkeit, solche Texte zu verfassen!

(Markus Brüderlin wurde 1958 in Basel geboren, studierte Kunstpädagogik, Kunstgeschichte, Philosophie und Germanistik in Wien und Wuppertal, wo er 1994 promovierte.)

Für Heinrich Dunst zeigt sich diese Situation in der Erfahrung von Ambivalenz, die mit quasi bilderstürmerischen Ambitionen in einem abstrakten formalen Beziehungssystem von Farbe-Form-Material-und-Träger radikalisiert wird. Grundlegend für die sprachbildende Absicht dieser Reduktion ist die struktualisierte Erkenntnis, dass nicht die sichtbare Form selbst Träger von Inhalten sein kann, sondern die unsichtbaren Beziehungen zwischen den bildnerischen Elementen, die über Spannungsmomente – über Brüche und Irritationen, über Entsprechungen und Abweichungen und über subtile Feinabstimmungen – eine autonome und abstrakte Syntax erzeugen. Eine der bezeichnenden Ambivalenzen in Dunsts Relief-, Objekt- und Materialbildern ist die Spannung zwischen der Überschaubarkeit der in vermeintlich rationale Entscheidungen gefassten Konzeptionen und einer irritierenden Komplexität, die durch zum Teil irrationale Bildwirkungen entsteht. So wird etwa die scheinbar strenge Symmetrie der beiden vertikalen, schwarz-grauen Streifenpaare (s. Abb.) durch ein subtiles Spiel von gleichen und ungleichen Längen gebrochen und die vexierbildartige Inversion von Figur und Grund (Spalt und Streifen?) trägt das Seinige zur Unterminierung der „Evidenz des Selbstverständlichen“ bei.

(...)

Die in diesen Arbeiten deutlich angesprochene Konzeptionalisierung der Bildstruktur zielt aber nicht auf die phänomenologische Aufklärung von Wahrnehmungsbedingungen oder auf eine angestrebte Identität von Idee und Wirkung – wie vormals in der Minimal Art – sondern auf die Radikalisierung der subjektiven Empfindung, die in der formalisierten Konstruktion als der nicht erschließbare Rest aufscheint.

(...)

In dem erwähnten roten Bild wird der ursprüngliche Konflikt quasi paradigmatisch für die neueren Arbeiten aufgenommen und in der prinzipiellen Überführbarkeit der einzelnen Bildelemente ineinander und in das Bildganze verarbeitet. Das, mit leichten Abweichungen von den Felddiagonalen, freihändig sozusagen als „Seele der Form“ (Kandinsky) in die Bildtafel gezeichnete Dreieck steht in Kontrast, aber auch Entsprechung zur klaren Flächenstruktur des Grundes. Die psychische Tangibilität der Dreiecksform und die unmittelbare „Empfindlichkeit“ der Ausführung sind es, die dem strengen visuellen Gesamtkonzept eine innere Weite verleihen, die auch immer wieder in den neueren Arbeiten zum Ausdruck kommt. Was hier von Heinrich Dunst im autonomen Feld abstrakter Formbeziehungen an Ambivalenz ausgetragen wird, ist als produktiver Vorsatz für eine sprachfähige Begegnung des Subjekts mit sich selbst und seiner Versplitterung und mit der Wirklichkeit und deren Verstreuung, zu werten.


Finden Sie nicht auch, dass die Wirklichkeit heute wieder sehr verstreut ist?




Setzen wir unseren Rundgang durch die Wunderwelt des Kuratorendeutsch mit einem Autor fort, dem wir schon aufgrund seines ehemaligen Amtes ein hohes Maß an Kompetenz und Können zubilligen müssen. Es handelt sich dabei um niemand geringeren als den Ex-Präsidenten der Österreich-Sektion des Internationalen Kunstkritikerverbands AICA, Christian Krawagna, der uns ja wohl klar machen können sollte, was Sache ist. In seinem ersten Beitrag führt er uns in wohlgesetzten Worten an den mathematischen Rationalismus des österreichischen Künstlers Josef Dabernig heran:

Diese scheinbar widersprüchliche Doppelbestimmung des Handelns als Dialektik von Programmatik und Pragmatik ist dabei als der habituelle Niederschlag der der gesamten Arbeit zugrundeliegenden Befragung der Tragfähigkeit rationalistischer Systeme zu verstehen. Wie die Studien zur Dialektik der Aufklärung dargelegt haben, ist nicht nur der eingangs am konkreten Fall angesprochene natur- und religionsverhaftete mythologische Traditionalismus von einer Verdrängungsgeschichte geprägt, sondern auch ihr Gegendiskurs im Zeichen der Vernunft. Und wie die jüngere Geschichte gezeigt hat, ist die Indienstnahme durch den Totalitarismus nicht nur dem figurativ pathetischen Monumentalismus vorbehalten, sondern beispielsweise auch von einem Konstruktivisten wie Rodtschenko akzeptiert worden. Was Daberniks Systematik vom größten Teil der konstruktiv-rationalistischen Tradition abhebt, ist das Bewußtsein der darin implizit vorhandenen Ausgrenzung des Heterogenen. Dabernigs mathematischer Rationalismus ist durch das offensichtliche Schuldigbleiben einer kommunizierbaren Letztbegründung ein fetischisierter Rationalismus. Das Konzept der unbeirrbaren Befolgens der konsequenzlogischen Schritte eines festgelegten Planes, nach dem sich die plastischen Resultate ohne Rücksicht auf ästhetische Wirkungen formen, leistet die Kritik des intuitionsbestimmten Schöpfersubjekts durch die Verpflichtung auf Objektivität. Doch die Obsessivität, mit der scheinbar sinnlose Spielregeln entworfen und eingehalten werden, bringt die psychologischen Dimensionen des Objektivierungsbestrebens zurück in den Diskurs der Rationalität. Die beständige Variation und Permutation systematischer Komponenten wird zum paradigmatischen Ritual eines sich seiner Autonomie vergewissernden Subjekts.

Spannend, was? Aber als Präsident aller österreichischen Kunstkritiker konnte Christian Krawagna natürlich nicht nur Malerei und Plastik referieren, sondern auch sehr, sehr eloquent über die fotografischen Arbeiten von Hubert Lobnik. Bitte sehr:

Das Stilllegen einer Dynamik von Wirklichkeit, und sei es auch nur der, die aus dem Streit gleichzeitig sich aufdrängender Sichtbarkeiten, einander den Blick streitig machender Phänomene resultiert, dieses Fixieren von Welt, das ihre Totalität im fragmentierenden Blick übergeht, um sie als bildhafte neu zu inthronisieren, folgt der Logik vom Phantasma des „ganzen“ Bildes, dem auf der Gegenseite ein fixiertes Sehen entspricht. Zur Logik dieses Phantasmas, dem jahrhundertelang auch die Malerei nachhing und das sie mit all seinen weltanschaulichen Implikationen der Fotografie vererbte, indem sie ihre objektivierende Tendenz dem Objektiv der Kamera überantwortete und dort perfektionierte, gehört als ihr wesentlichster Kunstgriff die räumliche Kohärenz des Bildes als Entgegenkommen ans Ordnungsstreben des Blicks. Hubert Lobnigs Umgang mit der Phantasmagorie von Ganzheit und der sich in ihr manifestierenden Idee vom souveränen Subjekt als gefestigtem Referenzpunkt einer schauspielartig sich darbietenden und zur Ordnung gefrorenen sinnlichen Wirklichkeit stellt sich in seinen Diaintarsien und Diaprojektionen nicht als reine Verabschiedung einer solchen Konzeption dar, vielmehr wird ihm diese Gegenstand einer kritischen Bezugnahme. Als die beiden Eckpfeiler dieser Auseinandersetzung sind die Problematisierung des kohärenten Raumes und der aus einem zeitlichen Kontinuum gerissenen und im Bild zur zeitenthobenen Reglosigkeit erstarrten sinnlichen Welt zu begreifen.

Wen wundert es angesichts dieser fulminanten Schreibkünste noch, dass Christian Krawagna, wie ein Blick in die Internet-Suchmaschinen verrät, an weit mehr als einem Dutzend gedruckter und zum Kauf angebotener Büchern textgestaltend mitgewirkt hat? Dass er aber auch ganz anders, nämlich expressiv minimalistisch kann, beweist er in einem Katalog über Norbert Fasching. Dort findet sich über vier Seiten folgender Text:

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Hier lassen wir gleich noch einen Würdenträger der Kunstwelt zu Wort kommen, nämlich den ehemaligen Präsident der „International Association of Curators of Contemporary Art“, Peter Weiermair, der anhand einer Besprechung von Werken Wolfram Ulrichs seine ausgefeilte Sprachkunst zelebriert.

Wer sich mit der Kunst Wolfram Ullrichs auseinandersetzt und die Arbeiten von 1987 – mit Schnitten markierte Bleche – mit den letzten Werken, die Ullrich für den Herkulessaal des Wiener Palais Liechtenstein geschaffen hat, vergleicht, wird die Konsequenz bewundern, mit der Ullrich ein konstruktives Konzept rational-systematisch, aber auch intuitiv weiterentwickelt hat. Reflexion auch auf dem Hintergrund der allgemeineren Entwicklung und probende Realisation kommen bei dem Künstler, der sich mit der Kunstgeschichte intensiv auseinandergesetzt hat, und dabei, und dies wirft ein bezeichnendes Licht auf ihn, mit Piet Mondrian, Peter Paul Rubens und der Kunst des altniederländischen Stilllebens befasst hat, zusammen. Der meditative Grundzug im Sinne einer elementaren Hinterfragung der allgemeinen Kategorien der Konstitution von Raum, Linie, Farbe und Fläche ist für seine Arbeiten wesentlich, die eine oft fürs erste erscheinende Simplizität schnell widerlegen und sich erst langsam im Wechselspiel zwischen unserer visuellen Erfahrung und Reflexion entfalten. Vielen Werken hat Ullrich den Namen „Relief“ gegeben und damit ihre irritierende Zwischenform gekennzeichnet, angesiedelt zwischen Zwei- und Dreidimensionalität. Es sind die Parameter Fläche, Linie und Raum, die die Arbeiten bestimmen und die derart miteinander verschränkt sind, dass sie unsere Beschäftigung in Gang halten.

Ullrich überzieht die Stahlbleche mit lasierenden Lacken, so dass das Licht in die Farbe eindringt und von den tiefen Schichten reflektiert wird. Durch Biegungen und Faltungen entstehen in den geometrischen, meist von einer unregelmäßigen Viereckform ausgehenden, Flächen Binnenkonturen, die unterschiedliche Fluchtpunkte besitzen. Ob sie an der Wand hängen. Wo das Sich-Abheben der „Flügel“ in Verbindung mit der durch das Licht modulierten Chromatik, den Werken eine Tendenz zur Transsubstantiation des ursprünglicu schweren Materials verleihet, oder ob sie wie neuerdings auf dem Boden aufruhen, sich absenken oder auffalten; durch Positionswechsel des Betrachters, der den unterschiedlichen Fluchtpunkten folgt, verändern sich die Werke ständig, bleiben nie identisch. Dem Licht kommt dabei eine wesentliche Rolle zu. Die Beugungslinie der Flächen erscheint durch den Einfall des Lichtes auch als eine immaterielle Linie des Aufeinanderstoßens von beleuchteter und nicht beleuchteter Fläche, zudem aber auch, da durch das Eindringen des Lichtes in die chromatische Fläche die Farbwerte sich verändern, als die Begrenzung zweier unterschiedlicher, materialiter jedoch identischer Farbflächen.

In der Wiener „Installation“ wobei die Behauptung erlaubt sein mag, dass die Arbeiten wohl im Hinblick auf die Dialogsituation mit dem illusionistischen barocken Deckengemälde entstanden sind, jedoch auch unabhängig, autonom, existieren könnten, konfrontiert Ullrich den aktuellen Stand seiner Raumreflexion mit einem historischen „Standpunkt“





An dieser Stelle gesteht einer – Christoph Schenker – gleich zu Beginn ein, dass ihn die Bilder, über die er reden soll, zur Sprachnot zwingen:

(Christoph Schenker ist seit 2005 Leiter des im selben Jahr gegründeten Instituts für Gegenwartskünste (IFCAR Institute for Contemporary Arts Research) der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK). Er leitet transdisziplinäre Forschungsprojekte im Feld der Gegenwartskunst, insbesondere im Bereich von Kunst und Öffentlichkeit. Als Professor für Philosophie der Kunst und Kunst der Gegenwart lehrt er im Master of Arts in Fine Arts des Departements Kunst und Medien ZHdK.)

Es ist eigentlich um die Kunst von J. A. eine närrische Sache; immer wieder zwingt sie mich in eine eigenartige Sprachnot. Und wenn ich diese Sprachnot nun zur Rede stelle, indem ich u. a. das Verhältnis der Gemälde von J. A. zur Sprache in Kürze zu erläutern versuche: so mache ich nur deshalb aus dieser Not eine Tugend, weil ich überzeugt bin, daß dies Verstummen der Sprache zum Wesen seiner Bildkunst gehört, die ausschließlich im Dienste ihrer eigenen Bildlichkeit steht. „Abstrakte“ Kunst wähnte sich bisweilen absolute, reine, ja autonome Kunst zu sein – indes blieb sie fast ausnahmslos gebunden an außerbildliche Realität, beispielsweise an Wortsprache oder an wortsprachlich vermittelte (wie denn auch sonst?, da Bilder nicht behaupten können) Intention und Ideologie. Geometrische oder konstruktive Werke etwa gründen auf Sprache, nämlich auf mathematischen Texten, und sind in letzter Konsequenz Metasprache einer Metasprache der Wortsprache als konventionalisierter Symbolsprache. Eine der vielen anderen Varianten außerbildlicher Referenz besteht darin, Bilder als Symbolkomplexe zu verstehen und sie damit zu versprachlichen, unter der selbstverständlichen, weil unreflektierten Prämisse, daß ein Inhalt im Medium der „Bildsprache“ adäquat und überhaupt zu vermitteln ist. Im Überblick wird deutlich, wie stark das Bild selbst schon sich durch eine völlig andere Sphäre, durch die Wortsprache begründet, ja legitimiert. Hierin liegt die Sprachlichkeit des Bildes. Die Gemälde von J. A. berufen sich in keiner Weise auf Wortsprache (wie Titel, mathematische Texte usf.), somit wirken sie nicht didaktisch, noch stehen sie im Dienste einer Ideologie, ebenso wenig verweisen sie auf andere außerbildliche Erlebnisinhalte (Gefühle, Emotionen usf.). Ihre Umkehrbarkeit beispielsweise hebt das kompositionelle Moment auf; sie kennen keine Richtung und erzeugen je nach Situation eine andere Valenz. Ebenso wenig ist ihnen Konstruktion Gesetz, Geometrie nicht Zweck, noch Medium, bestenfalls Instrument, das sich unnützlich macht. Die vermeintliche Komposition wird durch die scheinbare Konstruktion weder erzeugt noch von ihr gestützt. Nur scheinbar ist die Konstruktion, weil sie sich selbst ad absurdum führt und zersetzt, indem sie beispielsweise sich gleichmäßig übers ganze Bildfeld ausbreitet oder Richtungsloses und Nicht-Richtbares (Punkte) richtet. Die geometrische Konstruktion hat keine reelle Funktion und verdiente so ihren Namen erst gar nicht. (Diese Gemälde dürften folglich kaum geometrische Kunst genannt werden.) – Das ist ein Aspekt der vom Bild selbst geleisteten Befreiung von der Sprachlichkeit.

Dieser Sprachnot geschuldet ist es wohl auch, dass Christoph Schenker uns viele Zeilen lang erklärt, was die Bilder von Armleder nicht sind:

Die Bilder von J. A. bezeichnen nichts, bedeuten nichts (nur ein Gemälde als Zeichen oder Symbolkomplex hat Bedeutung), ebenso wenig sind sie Träger einer Botschaft (des psychischen Drucks des Autors als Anekdote), u. a. aus der hellen Einsicht, daß das semiotische Dreieck (ein Bild als Verständigungsmedium müßte als Zeichenkomplex – die Sprachlichkeit des Bildes – verstanden werden), das notwendig dem Glauben an die Möglichkeit der Vermittlung von Inhalten unterlegt werden müßte, von außen betrachtet zwar recht schön aussieht, in Wirklichkeit aber nicht funktioniert (bzw. über ihre Funktionstüchtigkeit kann nicht geurteilt werden), weil wir als Sprachbenützer bzw. Bilderzeuger und -betrachter immer schon in jenem Modell miteingeschlossen sind. Von der Sprache können wir uns nicht befreien, wir können nicht von außen über „Bildsprache“ sprechen, ohne uns nicht schon derselben Sprache zu bedienen, in derselben Sprache zu sehen und zu denken – über den Referent (die Anekdote, Welt an sich) können wir schlicht nichts in Erfahrung bringen, er verliert sich gleichsam in den Verwicklungen der Sprache: und wer könnte sagen, daß er mit dem wieder auftauchenden identisch ist?




Das nächste Beispiel: ohne Kommentar. (Da hat es mir schlichtweg die Sprache/Schreibe verschlagen) Igor Zabel über Marjetica Potrc.

(Igor Zabel, 1958 - 2005, war Philosoph, Autor, Essayist, Kurator für moderne und zeitgenössische Kunst sowie Literatur- und Kunstkritiker. Er arbeitete als Chefkurator in der Moderna Galerija – Museum für moderne Kunst – in Ljubljana)

Hier soll besonders hervorgehoben werden, dass das Phantasma eines homogenen Raumes (dem eine zyklische und teleologische Zeitstruktur, von der die Autorin in einigen ihrer Texte spricht, äquivalent ist) als der Raum einer möglichen Ganzheit und momentanen Gegebenheit der Objekte nicht etwas ist, was nach einer traumatischen Erfahrung unserer Partikularität und Zeitbedingtheit und daher herrührenden Verschiebungen im Konzept des Raumes einfach verschoben bzw. losgeworden wäre. Es geht also nicht um einen einmaligen bzw. plötzlichen Übergang in eine neue Qualität, phantasmatischer und symbolischer Raum ist noch immer eine ständige Referenz der räumlichen Relationen, die von uns gesetzt bzw. gebildet werden. Der „subjektive und flachgemachte“ Raum, so wie er dem Betrachter gegeben ist, dem Betrachter, der sich wesentlich innerhalb des Raumes und der Zeit befindet – zwei Werke hat die Autorin wie folgt betitelt: „ES GIBT KEINEN ZEITLOSEN Raum – der Raum ist subjektiv und flachgemacht“ – als auch das Phantasma eines Raumes bzw. einer Welt als abgeschlossene und geordnete Totalität sind ihrem Wesen nach stark wechselseitig bezogen. Es sit unmöglich zu unterscheiden zwischen einer „unmittelbaren Erfahrung“ des Raumes und der phantasmatischen bzw. ideologischen Ganzheit; das Phantasma ist unmittelbar in die Erfahrung eingeschrieben. Wir sind gezwungen, eine Identität zu denken, obwohl diese durch die Erfahrung fortwährend widerlegt wird; wir suchen fortwährend nach symbolischen und phantasmatischen Stützpunkten (die aber natürlich nicht beliebig, sondern in unseren Zivilisationsrahmen eingesperrt sind) und bilden sozusagen eine Orientierungskarte. Impliziert die verinnerlichte Lage des Subjekts eine Konstellation des Raumes als temporales Nacheinander der subjektiven „verflachten“ Projektionen, sind diese aber jedoch weder eine Ansammlung autonomer Bilder noch eine einfache Addition, sondern ein Verhältnis zu einer hypothetischen Ganzheit bzw. Totalität, die aber eben durch dieses Verhältnis untergraben und zerstört wird. Das sind diejenigen Konzepte der Ganzheit bzw. diejenigen Stützpunkte, auf die auch die in Torso und Landschaft eingeschlossenen Bilder hinweisen: ein ideal abgesperrter Raum des Parks und die Aussicht auf Rom, auf die Stadt. Diese idealen Konzepte des abgeschlossenen, geordneten und totalen Raumes sind typisch gegeben in einem Blick von oben, der – wie schon die Autorin selbst hervorgehoben hat – ein „unmöglicher“ Blick ist, was natürlich auf die phantasmatische Beschaffenheit des Raumes (und damit auch der Welt) als eine abgeschlossene Totalität hinweist.




Nun ein Text über Oberflächen, der beileibe nicht auf selbiger verweilt, sondern sich tief in die dämonischen Dimensionen von Mythos und Endgültigkeit hineinwühlt! Lóránd Hegyi in dem Katalog „Radical Surface“

(Lóránd Hegyi, geboren1954, ist ein ungarischer stammender Kunsthistoriker und Kurator. Er leitete von 1990 bis 2001 das Museum für Moderne Kunst Wien. Seit Juli 2003 arbeitet Hegyi als Direktor des Museums für Moderne Kunst in Saint-Étienne und leitet dort die zweitgrößte Sammlung Frankreichs.)

„Bei Sandbichler wird der durch Licht entstehende, fiktiv-imaginäre Raum mit dem aus dem Alltagsleben herausgenommenen und verfremdeten Objekt konfrontiert. Der Gegenstand wird durch das Licht zur Oberfläche, während das Licht selbst streng formalen, strukturellen Charakter, der als systembestimmendes Element auftritt, gewinnt. Helmut Rainer baut kleine Monitore in seine Metallobjekte ein, wobei die Erscheinung auf dem Bildschirm den materiellen Kontext gleichzeitig ergänzt und ihm opponiert. Das bewirkt einerseits die Intensivierung der Oberfläche des Gegenstandes, weil die Oberfläche durch das auf sie fallende Licht des elektrischen Bildes zu Leben erwacht und selbst eigene Bildphänomene produziert, andererseits die Radikalisierung der Oberfläche, weil sie als alleingültiges Medium der bildnerischen Gestaltung verabsolutiert wird. Aus dem Gegenstand entsteht eine Oberfläche, die sich als immaterille Repräsentation des Gegenstande interpretieren lässt, wobei dieser Prozess die Möglichkeiten einer neuen Kontextbestimmung der Oberfläche als Thema der künstlerischen Auseinandersetzung beinhaltet.

(...)

„Die Oberfläche in der Arbeit von Birgit Jürgensen versucht durch verschiedene technische Medien eine archaisch-ursprüngliche, im existenziellen Sinne wichtige Funktion zurückzubekommen: Die Oberfläche wird als Haut des menschlichen Körpers, oder im metaphorischen Sinne als „Auge“ , als Vermittler zwischen Außen- und Innenwelt, zwischen erfahrenen und fiktiven Wahrnehmungen gedeutet. In diesem Zusammanhang wird das Bildobjekt auch als Fetisch betrachtet, wobei sich die darstellende Funktion der mimetischen Elemente mit dem analogischen Ritual der direkten – transzendentalen – Vermittlungsmethoden vermischt. Die Bildoberfläche fungiert als darstellender Träger, als wirklichkeitsnachahmende Fiktion und gleichzeitig als Wirklichkeitsanalogie, die eigene Realität innehat. Die mit Buchstaben oder an Buchstaben erinnernden repetitiven Formen gefüllten Bildoberflächen von Sonja Lixl geben der Schrift als Textur Eigenwert, der anstelle syntaktischer Bedeutungsschichten bloß die optisch-visuellen Strukturierungsprozesse als eine mögliche Realität präsentiert.“


Und weil es so schön war, sei hier noch der Abschluss-Satz dieser bewegenden Text-Arbeit für die Nachwelt festgehalten:

„Die Radikalisierung der Oberfläche in der neuen österreichischen Kunst involviert die Auseinandersetzung mit der Problematik der neuen Kontextbestimmungen; dadurch lässt sich die Oberfläche gleichzeitig als Medium und Modell, als sinnliches Phänomen und als theoretisches System interpretieren.“

Für den Fall, das Lorand Hegyi mittlerweile zu einem Ihrer Lieblings-Autoren avanciert ist: hier ein weiteres Opus von ihm. Hegyi über Helmut Dorner.

Obwohl er in seiner Bildwelt mit einem ziemlich reduktiven Formvokabular operiert – wobei trotz aller formalen Reduktivität noch immer eine überraschende Vielfalt der kleinen, fast mechanisch gemalten, sich „musterartig“ wiederholenden, manchmal als Fragment einer ornamentalen Oberfläche erscheinenden Elemente vorhanden ist -, konfrontiert er völlig souverän und manchmal sogar verwirrend die par excellence malerischen, das heißt pastos gemalten, mit dicker Farbschicht bedeckten, die expressionistisch-gestische Malweise in Erinnerung rufenden Oberflächen mit kühlen, keinerlei Spuren der manuellen Behandlung aufweisenden, eine neutrale, unpersönliche, dingliche Objektivität beinhaltenden Bildobjekte. Diese provokative Zusammenstellung unterschiedlicher Malweisen, beziehungsweise unterschiedlicher Bildkontexte – wobei die visuell-plastischen Referenzen die verschiedenen kunstgeschichtlichen Perioden und unterschiedlichen Methoden der neueren Malerei der letzten dreißig Jahre in der visuell-plastischen Struktur sensibilisieren – bildet ein gleichzeitig dichtes und leeres Formensystem: Dicht im Sinne der Übereinanderschichtung unterschiedlicher Referenzen, welche sich in der Maltechnik, also im technischen Träger des Kunstwerkes, in den Hinweisen auf verschiedene strukturelle Konzeptionen, in den kunstgeschichtlichen Konnotationen manifestieren; aber gleichzeitig leer im Sinne der konventionellen Formstruktur, welche in diesem Fall mehr die starke Reduktivität der malerischen Elemente als die inhaltliche Vielfalt der sensibilisierten Referenzen betont.

Für Sprach-Gourmets hier noch zwei Sätze des Meisters, die in Stein gemeißelt gehörten! Lorand Hegiy über Franz Pichler

Mit den divergierenden Formsituationen und Strukturbestimmungen demonstriert er unterschiedliche Funktionen und voneinander abweichende Bedeutungskontexte. Das Interessanteste dabei ist, daß er die formimmanenten Entscheidungen direkt auf die Ebene der Funktionsbestimmungen schichtet.

Weil man, wie bei einem packenden Krimi, gar nicht aufhören möchte mit dem Lesen, noch ein Nachschlag, der zu meinen persönlichen Favoriten, sozusagen zu meinen Lieblings-Hegiys gehört. Aus dem Katalog „Gáyor“ :

Das Modell der zunehmenden Verdichtung, der Ausbreitung und Vergrösserung des visuell-plastischen Systems ist mit der Veränderung der plastischen Qualitäten und mit dem Erscheinen neuer, aus der Logik des Systems folgender Qualitäten verbunden, die zugleich aber ein davon etwas unabhängiges, selbständiges Leben führen. Das aber führt zur Stärkung der „autonomen Bildlichkeit“ und beinhaltet somit die Möglichkeit der Bedeutungserweiterung.

Ist das nicht zum Dahinschmelzen?




Für fachsprachgeeichte Kuratoren ist das Verfassen von Texten wie dem folgenden wahrscheinlich reine Routinesache, etwa so, wie für einen Elektriker das Auswechseln einer Glühlampe, die sie in 2 Minuten 28 Sekunden erledigt haben. Jan Winkelmann über Heimo Zobernig:

(Jan Winkelmann war von1998-2003 Kurator der Galerie für Zeitgenössische Kunst, Leipzig seit Oktober 2003 Galerist in Berlin)

Auch sind die Einzelwerke Zobernigs nicht mit der minimalistischen Serialität zu vergleichen, obzwar beiden durch das Emotionslose, wenig Expressive und infolgedessen Unkünstlerische eine augenscheinliche Sachlichkeit des Werkes zu eigen ist. Diese Reduktion auf das Wesentliche ist oft als Abstraktion mißverstanden worden. In Wirklichkeit wird hier nicht abstrahiert, sondern so weit wie möglich reduziert, um zu einer denkbar einfachen, quasi-funktionalen Form zu kommen. Der ausgeprägte formale Reduktionismus vieler Werke des Künstlers rückt sie an die Grenze des Lapidaren. Diese Qualität verleiht ihnen die Kraft des Beiläufigen, des fast-Unsichtbaren. Entkleidet von jeglicher verzierenden Attitüde offenbaren sie uns das Wesenhafte ihrer selbst. Nichts lenkt ab von ihrer Funktion, die nur sich selbst repräsentiert und keine inhaltliche Projektion erlaubt. Bereits Immanuel Kant verweist in der „Kritik der reinen Urteilskraft“ darauf, daß „in aller schönen Kunst das Wesentliche in der Form besteht.“ Die Dialektik von Inhalt und Form scheint zerrissen, der Weg für den reinen Formalismus geebnet. Streng genommen vollzieht sich eine Trennung von Kunst und Leben, die daraus resultierende, erwartete Entwertung der Wirklichkeit als Bezugspunkt für die Kunst tritt hingegen nicht ein. Zwar ist Zobernigs Werken ein eingeschränktes Verhältnis zur Wirklichkeit, im Sinne einer sozialen Erkenntnisfunktion der Kunst, inhärent, doch verweisen sie immer auch auf die Bedingungen ihrer Präsentation. Dem reinen, zum Spiel mit Formelementen und Gestaltungsmitteln verkommenen Ästhetizismus entgegnet der Künstler mit den auf ihren (Kunst-) Kontext gerichteten Bezügen. Damit negiert er bewußt die tendenzielle Isolierung und alleinige Wertschätzung der Form an sich, wobei es sich nicht um eine Strategie im Sinne von „Formalismus als Formalismuskritik“ handelt. Trotz eines Mangels an metaphysischen Inhalten lassen sich seine Werke nicht auf die „reine“ Form reduzieren. Der umgekehrte Fall würde implizieren, daß sie auch außerhalb des Kontextes ihrer Präsentation als autonome Kunstwerke rezipierbar wären. Da ihre Funktion und somit ihr kritisches Potential in erster Linie auf diesen Kontext ausgerichtet ist, scheinen sie ohne diesen wirkungslos. Die intuitiven Formalismen Heimo Zobernigs entziehen sich unbemerkt immer wieder einer haarscharfen Trennung zwischen Form und Inhalt.



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