6. Künstler über Künstler

Schön, wenn einer sich so in das hochkomplexe Werk seiner Künstler-Kollegen hineindenken und dessen wesentlichen Kern so herausarbeiten kann, wie Ecke Bonk.

(Aus Wikipedia: Ecke Bonk ,* 1953 in Kairo, lebt und arbeitet in Karlsruhe und ist Konzeptkünstler. Bonk studierte Wissenschaftsgeschichte und Philosophie in Wien, München und Heidelberg, Malerei bei Raimer Jochims, Typographie bei Herbert Bayer in Aspen, Colorado (USA). Ecke Bonk beschäftigt sich mit Zeichensystemen als interdisziplinärem Ausdruck von Kunst, Naturwissenschaft, Typografie und Philosophie, um damit die Bedingungen und Zusammenhänge kultureller Leistungen zu reflektieren.)

Aus einem Katalog über Arbeiten von Brigitte Kowanz und Franz Graf:

AM ABHANG DER ZEIT : VERSÖHNT
Koordinaten für ein Annäherungsprogramm

Monitor Eins       Nimmt man an, dass es sich bei der Arbeit von Brigitte Kowanz und Franz Graf (Kowanz/Graf) um eine Heranarbeiten handelt, so ist auch das sich dieser Arbeit nähern ein Heranarbeiten. Sich nähern gegen einen Widerstand. Der Widerstand ist das Bild.


Mit -Bild- ist hier ein Versuch gemeint, der einer Dichtung, einer Poesie näher zu sein scheint, als den malerischen Verdünnungen der jüngsten Vergangenheit. -Bild- wäre ein Medium, in dem Zeit und Raum versöhnt sind. Und die Formulierung eines Bildes wird als Prozess angesehen, der dem Schleifen und Fassen eines Kristalls ähnelt.

Monitor Zwei       Der Bildraum wird zum Kopfraum. Im eigenen Kopf, im Kopf der Künstler muss das Bild überzeugen. Hier müssen die Zeichen zu sprechen beginnen. Hier werden sie zum Klingen gebracht. Die Sprache dieser Zeichen ist nicht mehr die eigene, sie muss hinzugelernt werden. Die Hand spricht zum Auge. Die Hand wirft die Zeichen ins Auge, der Entwurf des Eingeschriebenen. Der Fluss der Zeichen aus der Hand rinnt in die Augen und kommt durch die eigenen Schichten wieder und wieder zum Vorschein. Der eigenen Geschichte entgegen. Dem eigenen Vergehen voraus. Die Bewegung in die andere Richtung erfordert Kraft. Ein Versuch der Durchdringung. Hindurch durch das geschichtete Material, das Material das sich auftürmt. Das unüberwindlich scheint. Das spricht, ohne gefragt zu sein und sich immer wieder hieneinmischt, mit Sehnsüchten und Wünschen, Hoffnungen und Ängsten. Da hindurch muss gearbeitet werden, will man zu einer Sprache kommen, die deutlich sprechen kann. Die verlernt hat zu plaudern.

Monitor Eins       Diesen Weg der rückläufigen Geschichte durch die eigenen Schichten übersetzen Kowanz/Graf in einen Arbeitsprozess, der sie zu den Bildern führt. Der es ihnen ermöglicht, zu den Formeln zu finden, die dann aufgestellt stehenbleiben und sich dem, der sie sieht, ins Gedächtnis eingraben, eingravieren. Die sich hineinschreiben, die eingelesen werden können.

Monitor Zwei       Es wird nach Gesetzen gesucht. Nach gesetzten Spuren. Leuchtchiffren, die gesetzt werden. Gangarten, die zu den Gesetzen vordringen, in Regionen sich wiedersetzender Zeichen. Solche, die sich entgegenstellen lassen, einer Flut entgegen.

Monitor Eins       In ihren Bildern benutzen Kowanz/Graf phosphoreszierende Substanzen. Diese Substanzen speichern das Licht. Es bleibt ein Schimmer, ein Scheinen, auch wenn das Licht verlöscht. Die Lichtchemie einer Zeichenküche. Im zurückgestrahlten Licht erscheinen die Zeichen in der Zeit. Dieses Aufladen, das Scheinen, ist die physikalische Entsprechung für die Suche nach Zeichen. Nach Zeichen, die etwas wiedergeben können. Die sich aufladen lassen: wie Batterien. Der Rezeptor versöhnt sich mit dem Reflektor, die Aufnahme mit der Wiedergabe. In der Antike hat man angenommen, dass die Objekte aktiv Strahlen aussenden, die das Auge treffen. Die Zeichen von Kowanz/Graf sind Sender/Empfängereinheiten, sie senden das aufgenommene Licht, und dieses Licht strömt in die Augen. Der Lichtfluss ins Auge schafft eine schmerzlich-scharfe Grenze. Scharf umso mehr, als sich an der Grenze das Strahlen mit dem Absorbieren trifft. Die Figur scheint, der Grund absorbiert. Oder es ist die Figur, die das Licht schluckt und der umgebende Grund, der strahlt. Die Grenze vibriert, der Umriss tanzt, die Figuren schwingen, der Grund bebt. Zeichenfinsternis.

Monitor Zwei       Die Schichten hintereinander und dann weggenommen. Negativprozess, eine Zeichensubtraktion. Abziehen und vielleicht dadurch vorziehen. Vorder- und Rückseite, Horizontale und Vertikale schmelzen in eins. In der Arbeit haben Kowanz/Graf sich ein Instrumentarium geschaffen, mit dem sich Denk- und Ahnungsfiguren und Methoden, Mittel und Techniken zur Deckung bringen lassen, in ihren Bedeutungen füreinander austauschbar werden: synonym/synchron.


Die Gleichzeitigkeit ist eine List. Ein Modell, das die Surrealisten noch mit dem „Automatischen Schreiben“ zu fassen versuchten. Es ist ein Bild der Annäherung an psychische Gegebenheiten, wo das Ineinanderwirken zeitlich versetzten Ereignisquanten die Regel ist.

In den Installationen sind Rezeptions- und Reflektionsvorgänge in chemische, physikalische, physiologische und andere noch ungekannte Mischformen (nach-wissenschaftliche Modelle) übersetzt worden.

Monitor Eins       Das Suchen nach Gesetzen. Das Suchen nach den Formen, die sitzen. Das geschieht durch ein fortwährendes Proben. Ein Erproben um ein Ahnungszentrum. Das Proben, das Training schafft einen Zustand, ein Plateau, auf dem die ersehnten Transformationen stattfinden können. Es geht um Übersetzen. Wie über einen Strom.

Monitor Zwei       Hier rücken Konstruktion und Destruktion zusammen. Zerstören tritt auf als integrierter Bestandteil der Arbeit, als Möglichkeit des Schwankens nach beiden Seiten. Im Taumel mitreissen und zerstören. Nicht als kunstfertiger und beabsichtigter Einfall. Die Gleichzeitigkeit von Konstruktion und Destruktion im Erleben der Gestaltung erfüllt jeden Schritt. Angelegt durch ein Vorgehen, das nicht auf Abfolge oder Erfolg zielt, entsteht der Grat auf dem die Wanderung stattfindet, spannt sich das Seil, auf dem es zu balancieren gilt. Eine Balance zwischen dem Risiko, beim nächsten Schritt zu stürzen, abzustürzen, oder doch mit einem Mal auf einer unbekannten Anhöhe zu stehen, mit einer Aussicht, die neu, geglückt und so beglückend ist. Aber schon der nächste Schritt kann in die Irre gehen.

Monitor Zwei       Und darin liegt ein Geheimnis, das Geheimnis der Fremdartigkeit dieser Bilder, und das gleichermassen auf den Prozess der Entstehung, wie auch auf ihren vorläufigen Abschluss bezogen. Die Beseitigung eines linearen Abfolgegedankens. Hier sind das Paar Ansatz/Absatz vereint, ist das lineare Abfolgen eliminiert. Dieser Vorgang schliesst einen eindimensionalen Zielgedanken kurz.

Kowanz/Graf arbeiten nicht an der Kunst, sondern am Werk. Denn es ist ein Unterschied, ob jemand am Werk sitzt oder sich mit der Kunst auseinandergesetzt hat. Hier kann und soll die Arbeit garnicht vollendet werden. Vollendung ist kein Terminus für die Bilder, für die Arbeit an ihnen. Ein Ende ist nicht abzusehen, gibt es auch gar nicht. Man kann nur ab- und dann wieder ansetzen, und so ähnliche/verwandte Stationen auf Spiralgängen durchlaufen. Endlos.

Monitor Eins       So erscheint die Geste nicht mehr als Einzelstück. Sie ist als Unikat nicht mehr von Interesse. Die Geste verschmilzt zum Summenzeichen.


Die Geste erhält ihre Wirkung in der Abhängigkeit zur Zeit. Erst wo ihre Wiederholung in die Tiefe führt, x o sich an ihren Rändern die Unschärfe aus unzähligen Wiederholungen zeigt, erst dort kann die Geste bestehen, wenn ihre Figur eingeschrieben, eingebettet ist in einer Abfolge von Wiederholungen.

Immer wieder der einmal gesetzen Spur einer Geste nachgehen. Sie ablagern lassen zu einer Vorstellung von Zeichen. Ein Grenze bilden lassen: einen Grat. Auf der Stelle, immer wieder, so wird die Wiederholung am Ort und in der Zeit eine Möglichkeit, die Zeichenabstraktion in die Tiefe schwingen zu lassen und so mit einer bestimmten Wiederholungsfigur ein Echo zu erzeugen, einen Raum in dem es hallt.

Monitor Zwei       Der Wandel lässt sich als die Bewegung am Ort denken.

(...)

Monitor Zwei       Aber der Versuch, das Innen/Außen dieser Bildräumlichkeiten zu beschreiben, das Auftreten/Abstrahlen der Bild-Generatoren, ist auch zugleich eine Beschreibung des Außen/Innen dieser Bilder. Das Übersetzen geschieht immer in zwei Richtungen zugleich. Ein Springen in beide Richtungen. Eine Leitschiene verbindet hier Innen und Außen und versetzt so eines ins andere. Es gibt kein Nebeneinander mehr, nur noch wechselseitiges Ineinander. Die Pole springen, wechseln ständig ihre Wertigkeit. Die Grenzen um die einander durchsetzenden Zeichen müssen daher umso schärfer gezogen sein. Denn so erhalten sie sich auf ihren Wanderschleifen zwischen den Bildschirmen innen/außen und den Bildfolien außen/innen.

Monitor Eins       Sie wandern durch Räume mit ungekannter Dimension, auf Kanälen, die Innenwelt und Außenwelt verbinden, über die Schirme unserer Vorstellungen, Visionen, in die Speicher der Erinnerung und zurück. Es herrscht keine Ordnung, die die gewohnte ist. Die Dinge stehen auf den Kopf und nicht nur das. Die Schwerkraft, das Aufgerichtete, die Vertikale ist beseitigt, aufgehoben. Die Richtungen, in denen sich Zeichen und Bildfiguren hier bewegen, lassen sich nicht herkömmlich beschreiben. Es handelt sich um Bewegungen einer multidimensionalen Art. Die Gesetze, die hier herrschen, sind unbekannt. Unsere Naturgesetze sind nur als grobe Vereinfachungen davon abgeleitet. Die Zeit spielt ihre eigene Rolle. Sie durchsetzt die See der Zeichen. Durchsetzt sie mit einer Allgegenwart und einer Allzukunft, durchmengt mit einer Allvergangenheit. Das lineare Abfolgen ist beseitigt, nichts mehr bloß aufgefädelt. Alles ist gleichzeitig, supersynchron,: durchsichtig bis spiegelnd. Die Zeichen sind nicht einfach aufeinanderprojiziert. Die Zeichen sind ineinanderverwoben. Vorder- und Rückseiten als bestimmbare Orte fremd geworden. Projiziert wird auf die unterschiedlichsten Flächen und Raumfaktoren. Aktive Schichten, die wechselseitig miteinander in Kommunikation treten können; endlose Diffusion, osmotische Bewegungsrichtungen.


Grund und Figur versöhnt einander, einander durchsetzend, überspringend, wie zuvor die Vorder- und Rückseiten, wie Licht- und Schattenkonturen, wie Absorbtion und Reflektion, wie Botschaft und Medium, wie Auflösung und Erlösung.

Monitor Zwei       Im Arbeitsraum von Kowanz/Graf werden die geheimnisvollsten Raummodulationen erreicht. Der Raum scheint in Hinblick auf die Absichten der Arbeit modifiziert worden zu sein. Die Auslagerung einer rezeptiven Organ-Organisation hat stattgefunden. Der Boden, die Decke, die Wände in diesem Organraum sind rezeptiv, können immer wieder mit rezeptiven Feldern besetzt werden. Schatten bilden sich ab. Sie werden aufgenommen, können aufgenommen werden. Hier sind Kopfraum, Arbeitsraum, Körper- und Bildräumlichkeiten ineinandergeschachtelt, in eine synchron/simultane Dimension gefasst, deren komplizierte Winkelanordnung eine genaue Ortung nicht zulässt. Ein Funkeln entsteht, unbekannte/unerklärliche Lichtphänomene treten auf. Leben wie in einem Kristall, den ein Lichtstrahl trifft.




Das Multitalent Dan Graham schreibt hier über die Arbeit seines guten Freundes Sol LeWitt. An dem Abend, als er diesen Text verfasste, hatte er wahrscheinlich einen anderen Freund bei sich zu Gast, nämlich Jack Daniels, der ihn bei dieser Tätigkeit unterstützte. Ohne den hätte er das in dieser Form sicherlich nicht geschafft.

(Dan Graham, 1942 in Urbana, Illinois geboren. Dan Graham war im Laufe seines Lebens Galeriebesitzer, Kunst- und Kulturtheoretiker, Photograph, Filmproduzent, Performance- und Installationskünstler. Mit seinem Werk der 70er Jahre zählt er zu den Pionieren der Performance- und Videokunst. Zum Hauptthema seiner künstlerischen Arbeit wurde nach diesen Jahren immer mehr die Architektur: Graham konzipierte Projekte, die sich differenziert mit sozialer Interaktion in öffentlichen Räumen auseinandersetzten. Darüber hinaus ist seine schriftstellerische Arbeit ein zentraler Bestandteil seines Gesamtwerkes. Seine Veröffentlichungen reichen von z.B. frühen konzeptuellen Arbeiten, die als Beilagen in Magazinen für den Massenmarkt zu finden waren, über Schriften, die sich mit den Arbeiten zeitgenössischer Künstler auseinandersetzen, bis hin zu Analysen der Popkultur. Graham lebt und arbeitet in New York).

Zwei Strukturen/Sol LeWitt

(...)

1966 wurden in der Park Place Gallery zwei ähnlich aussehende (verwandte) Strukturen gezeigt. Es handelte sich dabei um kubische Gitter-Würfel, die aus zusammenhängenden, offenen Würfel-Zellen – alle untereinander identisch – bestanden. Bei einem betrug die Seitenlänge 147 cm, beim anderen 152 cm. Jede Struktur war auf einem klar definierten zweidimensionalen Streifenraster auf dem Boden platziert. Das klare Bodenraster wie auch die darauf plazierte Gitterstruktur waren zugleich zwei- und dreidimensionale Darstellungen sowohl des ganzen Raumes als innerer Umgrenzung (Galerieraum) als auch ihrer eigenen, von der Linie ausgehenden Grundidee.

zuerst legt der Künstler die Bedeutung fest/
dann findet die Arbeit statt

Die Logik der Arbeit entspricht der Tatsache, daß sich die Struktur an ihrem Ort buchstäblich aus sich selbst heraus trägt. Sie selbst bestimmt Volumen und Konzept mittels ihrer Ausdehnung und definiert zugleich die weiteren Grenzen des sie umschließenden Kontextes. Sie bemißt sich selbst. Die Arbeit ist ein Maßstab des Ortes, an dem sie sich befindet – und ihrer selbst als dort platzierter Arbeit. Die Struktur definiert sich aus ihren Maßen: eine Skala äußerer und innerer Abstände (äußerer im buchstäblichen Sinne der tatsächlichen räumlichen Umschlossenheit im Gegensatz zum „illusorischen“ Raum der Vergangenheit: dem, den man angeblich „im Kopf“ hat.) Das Konzept legt eine parallele Skala festgelegter Abstände fest: die Abstände im Raum, der das Kunstobjekt enthält und zugleich in ihm enthalten ist und der Abstand zwischen dem sehenden Subjekt und dem gesehenen Objekt. Diese sind ihrerseits übertragbar Auf die Vorstellung (eines) Kunst-„Abstands“ zwischen Objekt, Konzept und dem Standort des Betrachters sowie dem Ort im „Kopf des Künstlers“ (in der Vergangenheit), wo das Objekt stattfindet (stattgefunden hat). (Man wird gewahr, daß die Bedeutung des Rasters darin liegt – willkürlich – mit einer Hypothese/Hypostatsierung im Sinne einer ersten Festlegung zu beginnen). (Na also, jetzt komme ich so richtig in Fahrt). Der formgebende Bezug ist – per definitionem – menschlicher Art, (gewissermaßen gekoppelt an eingefahrene „Maßstab“-Vorstellungen in der Architektur): Die Tatsache, daß die Stangen dem menschlichen Betrachter buchstäblich den Zugang zum Inneren der Strukturen freilegen, hat einen einschneidend „distanzierenden“ Effekt; und wenn der Mensch als Partizipient sie (notwendigerweise) von außen betrachtet, präsentieren sch ihm die „Brennpunkte“ der Stangen als Intervalle im Rahmen der hypothetischen/hypoastasierten rechtwinkligen Perspektive eines räumlichen Kontexts, der größer ist als sie selbst: als würde der an seinem Standort fixierte Betrachter-Leser von deren „Projektion“ durchbohrt.

der statische Blick

Die Arbeit definiert sich selbst. Für den Betrachter gibt es von seinem jeweiligen Standpunkt aus je einen Bezugsrahmen: Jeder zweidimensionale Rahmen erstreckt sich im Rückbezug auf sich selbst nur so weit wie seine dreidimensionale Ausführung:

es gibt keinen alleingültigen Bezugsrahmen/
das Werk konjugiert sich selbst

Sobald der Betrachter sich bewegt, beginnt ein Zeitablauf, und der äußere „Raum“ ist als Ausdehnung aufgehoben. Das gesamte „innere“ Zusammenspiel von Veränderungen und Verknüpfungen im zwei- und dreidimensionalen Gefüge bietet sich nahezu simultan an als „Perspektiven“ ohne räumliche Dichte oder Ortsbestimmung. Bewegt sich der Betrachter von einem Punkt zum anderen um das Kunstobjekt herum, so wandelt sich die physische Kontinuität des Geschehens in eine eigene, nicht progressive Räumlichkeit bzw. Zeit.

es gibt keine Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt
das Objekt ist.............das Subjekt ist
und
der Betrachter.............der Betrachter
die Kunst.............die Kunst

Objekt und Subjekt sind keine dialektischen Gegensätze, sondern eine in sich geschlossene Identität: austauschbare innere und äußere Setzungen. Ale Bezugsrahmen sind simultan erfahrbar: Objekt/Subjekt. Der Betrachter als Objekt/Subjekt betrachtet objektiv/subjektiv eine subjektive/objektive wörtliche, äußere räumliche „Illusion/Realität“...

(...)

Vier Kuben mit verspiegelter Oberfläche waren in den rechtwinkligen Ecken eines Quadrats platziert, das sich seinerseits inmitten des kubischen Parallelepipeds der Galeriewände befand. Betrachtet man sie, so scheinen sie jeder Tiefe zu entbehren: Skulptur und Raum verschwinden – da jede SpiegelfIäche reflektiert- und versetzen einen Teil der gegenüberliegenden Parallelwand, die darüberliegende Reflexion der äußeren Erscheinung der Wand sowie die versetzt reflektierten Spiegelungs-Fragmente anderer Kuben (je nach Standpunkt des Betrachters). An die Stelle der Tiefe tritt nun einfach die Überlagerung äußerer „Ebenen“: die illusionistische Perspektive ist nur verdrängt worden, um (mit Hilfe der Spiegel-Illusion) den „realen“, vom Objekt besetzten Raum zu zerstören. Statt den äußeren Raum wörtlich zu nehmen, wurde er hier aufgehoben; und auch einen Innenraum gibt es bei den Kuben nicht, da alles an der Oberfläche angelagert ist. Das Werk wirft den Blick zurück. Entgegen der introspektiven Sichtweise sieht das Subjekt sich selbst als planes Objekt in der Oberfläche des Spiegels. (Psychologischphilosophische Phantasie: ein Bespiegelter Kubus als Ego, die andern Kuben stehen entsprechend für verschiedene andere Egos – andere hypothetisch betrachtende Subjekte, die jeweils die anderen hypothetisch betrachtenden/betrachteten Subjekte/Objekte beobachten.) Visuell verweist das Werk verdichtend auf sich selbst (auf sich selbst als eine Masse ohne substantielle Tiefe, Farbe usw.)

LeWitt erweitert die Morris-Duchampsche Innen-Aussen-Beziehung zu einer nicht-psychologisch-philosophischen Dialektik-Phantasie der Objekt-Subjekt-Beziehung. Bei LeWitt reflektiert die Form sowohl ihre eigene de facto Situation der räumlichen Umschließung, als auch sich selbst als logische Repräsentation der Idee, wobei sie diese auf allen Ebenen der Sprache, der Logik und des Faktums widerspiegelt. Ihr „Thema“ (räumlich, konzeptuell und als Darstellung) ist diese Logik des Rückbezugs auf sich selbst: Wenn man das „Thema“ in die wahrnehmbare Erscheinung des Objekts übersetzt, wird die Unterscheidung zwischen „Subjekt“ und „Objekt“ aufgehoben; gerade so wie in der beobachteten „Realität“ hat die Struktur alles „innen“ planiert und zur gleichen Zeit „außerhalb“ von allem – ebenso wie die zufällig sich spiegelnden Wände abwechselnd als „innere“ oder „äußere“ gelesen werden können. Es gibt keine Mitte, keine „Innen“-Ansicht Selbstbezogenheit innerhalb eines strukturalen Systems (hier eines Darstellungs-Systems) bringt notwendigerweise eine ständig sich erneuernde Reflexion auf sich selbst mit sich. (Ein gutes Beispiel aus der Logik gibt uns die paradoxe Behauptung von Epimenides, dem Kreter, alle Kreter seien Lügner. Eine Struktur in sich aufgespaltener Selbstreferenz, die von transparenter Durchschaubarkeit ausging, gerät, je komplexer sie ist, in eine gewisse Festgefahrenheit oder logische Indifferenz.) Die Grundidee der Park Place-Arbeit(en) erweiterte LeWitt schließlich zu einem komplexeren Gefüge (siehe Abb. S. 182). In einem Set von Strukturen für 4 verschiedene Innenräume dehnte er diese Sichtweise auf eine ganze Serie aus. Allerdings zeigte er sie zunächst als Modellein kleinem Maßstab. (Ein Set wurde 1967 für eine Ausstellung in der Dwan Gallery, Los Angeles, in Originalgröße gebaut und gezeigt. Darüber hinaus waren originalgroße Varianten der Arbeiten aus dem Gesamt-System an verschiedenen Stellen zu unterschiedlichen Zeitpunkten zu sehen.) Die erste logische Prämisse dieser Serie ist die grammatikalisch aufgeschlüsselte Relation, in der eine Sache von einer andern umschlossen ist – das Ganze arrangiert auf einem Raster, so daß alle Teile im Rahmen des Galerieraums gleichwertig planiert sind.


Den Aufsatz hat die renommierte Zeitschrift 'Studio International' zunächst als herätisch abgelehnt, 1970 im Katalog von Sol LeWitts Ausstellung im Gemeentemuseum Den Haag war er ein Hauptbeitrag.




Heinz Gappmayr in dem Katalog „Gáyor“ über einen ihm seelenverwandten Maler:

(Heinz Gappmayr, geboren1925 in Innsbruck, 2010 ebenda verstorben, war ein österreichischer Künstler. Gappmayr war ein Vertreter der Visuellen Poesie).

Fläche, Raum, Struktur

Für Tibor Gáyor sind Fläche und Raum Voraussetzungen jeder Gestaltung. Auf dem Weg von der Möglichkeit zur Faktizität des Bildes bevorzugt er innerhalb vorgegebener Bedingungen jeweils andere Aspekte. Der einzelne Moment ist dabei in gewissem Sinne indifferent. Deshalb lässt die Explikation von Einzelheiten, ohne deren Stellung zueinander zu berücksichtigen, keine verbindlichen Aussagen über das Gesamtkonzept seines Werkes zu. Die Unterschiede zwischen den Bildobjekten Gáyors beziehen sich nicht nur auf Details, sondern ebenso auf die wechselnde Problemstellung im ganzen und ihre Lösung.

Nicht alles ist von einem immanenten, in sich geschlossenen System ableitbar. Der Bildgrund selbst, der Gáyors Flächenkombinationen begrenzt oder der zu ihnen gehört, ist eine Art von neutralem Umfeld. Er schliesst eine Verwandlung struktureller Komplexe in eine fiktive Dinghaftigkeit aus. Anders ist es allerdings bei einzelnen Objekten oder Objektsequenzen, wo bewusst von dreidimensionalen Grundformen ausgegangen wird. Wichtig in den Bildern von Tibor Gáyor aber ist der Zusammenhang jeder geometrisch festgesetzten Grösse mit dem Bildganzen. Die Elemente seiner Arbeiten bilden eine Struktur kategorialer Entsprechungen. Der kompositorische Reichtum seiner Bilder ist nicht allein aus der Struktur oder den Proportionen der Flächen, sondern ebenso aus dem Transitorischen ihrer Relationen abzuleiten. Ihnen zugrunde liegt oft ein Raster, dessen entropische Funktion von Tibor Gáyor aufgehoben und überhöht wird durch Asymmetrie und Teilung.

Wiederholungen und Umkehrungen von Flächen thematisieren den Unterschied zwischen Ähnlichkeit, Gleichheit und Identität. Diese bezieht sich nur auf sich selbst, Gleichheit aber impliziert räumliche Differenz, Ähnlichkeit setzt Übereinstimmungen, Annäherungen und Abweichungen voraus. Kategoriale Differenzierungen wie diese sind im Werk von Gáyor von grosser Bedeutung. Sie verweisen auf die Transitivität der einzelnen Bestimmungen der Bildfläche, die nur diskursiv als etwas Selbständiges, voneinander Unabhängiges erscheinen. Eins geht aus dem anderen hervor. In symmetrischen Strukturen korrespondieren Punkte, Linien und Flächen spiegelbildlich. Die Reduktion einer Länge oder eines Winkels hätte eine Veränderung des Bildaufbaues zur Folge. Jede Stelle ist in der anderen enthalten. Die Teile stehen in Relation zum Bildganzen, – auch zur Rückseite des Bildes. Durch Faltung wird von ihr eine Teilfläche sichtbar, zugleich verdeckt sie eine kongruente Fläche der Vorderseite. Evoziert wird dabei das Vorgestellte als gedankliche Realität im Unterschied zur Realität des Wahrnehmbaren. Denn was von der Rückseite des Bildes zu sehen ist, steht indikatorisch für das, was von ihr unsichtbar bleibt. In der Reflexion auf diese Divergenz durchdringen einander mathematische und ontologische Momente: Grössenverhältnisse, Materialität, Erkennbarkeit.



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