7. Künstler über sich und ihr Werk

Wolfgang Hanghofer, Künstler aus Oberösterreich, ist ein Multitalent. Neben seiner bildnerischen Tätigkeit greift er auch hie und da zur Schreibfeder. Und bringt sein Anliegen auf den Punkt in „Der Punkt denkt – Paris 1988“

Der Text beginnt (nach der Einleitung, die ich hier nicht wiedergebe) wie folgt:


Vorbemerkung: Die theoretisch-praktischen Gedanken zur Punktarbeit, ihre plötzliche Entstehung, weisen im Verlauf dieser Abhandlung Widersprüche auf. Diese wurden nicht korrigiert. Der Punkt denkt in aufgelöster Ordnung, in Ausklammerung von Form- und Farbverlangen, in einer einzig freien Ordnung. In oftmaliger Prüfung des Zentrierens durch Lösung und Schälung, durch das Herbeiführen einer Kraft, die sich frei auswirken kann, Frontal ist Malerei! Es muss die Kraft gelernt werden! Natürlich ist alles Näherung. Farbe benütze ich nur zur räumlichen Beschränkung. Da alles im Leben in unbestimmter Dichte besteht, besteht die Möglichkeit nach Vermehrung und Verkürzung. Das Verlangen nach Einführung des Kreisringes ist das Resultat eines naiv-Ortenwollens von Frontalmalerei. Jeder Ansatz von Fließ- oder Flussmalerei, der naturgemäß bei Fingerarbeit entsteht, ist frontal weiterzubearbeiten. Dies impliziert auch eine noch so gut geortete Linearäußerung. Diese Hilfen wie Strich, Kreisring, überhaupt alles Lineare, muss zerstört werden. Solange wird das Bild frontal bearbeitet, bis diese, noch ungefähre neue Äußerung da ist. Letztlich muss auch der Zentrierungsgedanke fallen. In jedem Ort der Fläche wird punktfrontal gemalt. Dass ich diesen Gedanken schon lange vorher hatte, mag wohl eine Hilfe zum Durchhalten der Zentrierungsarbeit (ausschließlich mit Punkten) gewesen sein. Also Zentrierung vernachlässigen, daraus folgt, Punkt kann beliebig genau gesetzt werden, daraus folgt, als Extrem, dass auch Abbildmalerei betrieben werden könnte. Den Mut haben mit dem Nichts so lange zu arbeiten, also solange mit dem Nichts arbeiten, solange die platte Entstehung verhindern, bis sich Neues bemerkbar machen kann. Natürlich ohne Zyklen, Zeiten, Automation. Fingerkuppenarbeit verhindert keine Eigengeschwindigkeit, verhindert keine Bewegung der Nerven. Selbst das Zentrum, der Punkt dessen, teilt sich, tendiert weg als zentrale Sicherheit, bleibt aber dennoch gebunden ans Hauptgeschehen, welches ich im Anschnitt der reinen Punktmalerei im Umkreis des Blattschwerpunktes setze. Farbablauf jetzt: Grün, violett, hellgrün, blau, gelb, rot. Um freie Zentren im Blattformat zu schaffen, wähle ich mehr Farbe an sich (Abb.9)

Ein Jahr später erscheint dann folgerichtig „Der Punkt denkt II – Paris 1989“ Darin zieht der Künstler ein Resümee seiner punktgenauen Überlegungen:

Was ist nun wirklich übriggeblieben, von der im weitesten Sinn als reine Punktarbeit bezeichenbaren, bildnerischen Arbeit? Alles, jedenfalls das Wesentliche davon. Denn das, was sie im Malereibereich unsichtbar macht, ist eben durch sagen wir einzelne Konstruktionspunktknoten, die eben auch diese Malereiflächen tragen, aufgehoben. Aus größter Unordnung werden diese Konstruktionspunkte durch das Schemata Freipunktauftrag (s. der Punkt denkt) und Umklappung dieser zentrumsbezogenen Frontalachsialität in ein automatisiertes, auf Freipunkte bezogenes Tachismusband, hervorgeholt. Und dann wiederholt sich mit der Angabe einzelner „gefundener“ Knoten die Beziehung von „der Punkt denkt“ – zur Überlinierung – zu einem schon spezialisierten Sujetwunsch (deshalb spezialisiert, da schon bei der anfänglichen Freipunktung der Sujetgedanke da ist). Wenn das menschliche Auge beispielsweise einer der Konstruktionsknoten ist, so wird die Malerei in Fläche um, zum, in das Auge, aus dem Auge ihren malerischen Beitrag zum Konstruktionsknoten Auge finden. Wenn beispielsweise kein Konstruktionspunkt oder ähnliches gefunden wird, um eine Fläche zu begrenzen, dann bleibt eben dort die Malereigrenze unbestimmt. Ganz allgemein gesagt: Die Malerei der Punktkonstruktion beachtet den „Durchgang“ eines Konstruktionspunktes genauso stark, wie sein ihm zu- oder wegkommendes Äußeres. Zum Einsatz des tachistischen Linear: Es zielt ab auf einen stark punktbezogenen Tachismus, der sich oft im Linear unterbricht, oft nur als ein Punkt auftritt. Das ganze Bildfeld läßt sich erst erobern, wenn der Tachismus als Minimalismus ansetzt und erst sehr spät in einen Automatismus, welcher oft weite Strecken ganz rasch an sich reißt, mündet.
Fragen:
Wie leite ich die Transformation – kosmologische Punktung zur Konstruktionspunktfolge – ab?
Warum sind nicht die Konstruktionspunkte allein schon das Bild des „wirklichen Realitätssujets“?
Wieviele an Raumklappelementen (damit meine ich die Möglichkeit des Konstruktionspunktes [Realität] immer wieder in den Frontalpunkt [Kosmos] zu klappen) des einmal aufgetauchten Konstruktionspunktes gibt es?
Und warum ist es sinnlos, an die Abbildung, der in Richtung unendlich gehenden, geschichteten, räumlich sozusagen die ganze Materie ausmachenden Konstruktionsprojektionen, heranzugehen?
Warum ist eine einzige Variante (auch wenn diese noch so weitsinnig ist) einer Konstruktionsfüllung (nämlich mit der Spezialität eines konkreten Sujets) überhaupt machbar? (hier die Antwort: Weil ich mit der Punktdenkmaschine arbeite.)


Na also, nun wissen wir auch das. Weil er mit der Punktdenkmaschine arbeitet!
Hier noch eine andere sprachschöpferische Arbeit desselben Künstlers, wohl eine Art Gedicht:


Malerei ist Wissenschaft.
Ihre Forschung keine Addition.
Ihre Erzählung ein Beginn.
Ihr Geschwätz Verlust.
Ihre Stille Gewinn.


Zum Abschluss gebe ich mit großer Freude (und mit heißer Stirn, darin die Fliege hämmert) noch ein Gedicht des Meisters wieder, das „In memoriam O.Z.“ betitelt ist:

Blutkugel ist Erde
Schlamm im Sonnenlicht geritzt
öffnen 1000 Hände Tonzisterne
bevor geschmolzener Schnee in Wasser bricht.
Mit Tränen an der Donau
weit wie Kieselform
warmer Abguss schwebt in Mückenschwärmen
darin ein Abschied wohnt.
Sterne stehe ohne Heimat Metroschlangen halten an der Lust
heiße Stirn darin die Fliege hämmert –
Menschensucht.
Halt! Dann töten Worte nicht
Musik – Dichtung – Malerei
alle Nanas tanzen
mit allem Licht.

Auf der Kugel Menschenkreise
Häupter voller kurzer Zeit
Farben
drängen aus der Dunkelheit.
Zarte Fingerbänder kochen
Wasserschleier nacktes Rot
schlammwarme Sonnen
beschatten kleinen Tod.
Nach langem Sinken
schmecken Finger ganze Form
und alle Nanas tanzen
und alles Licht.





Haben wir zu Beginn dieses Kapitels einen Maler für Freunde der Lyrik vorgestellt, präsentieren wir Ihnen hier einen Künstler, den Mathematiker lieben werden...

Josef Dabernig
Zu den Systemen (1982-1989)

Im Wesentlichen grenzen drei Ordnungssysteme einander ab: Von einem Naturbild ausgehende Mutationen der Dreierdifferenzierung, Module im Achsenkreuz auf Zahlen- und Gleichungsgrundlage, serielle Irritationen zwei- oder dreidimensionaler Entsprechung von Zahlenreihen.
1982/83 destilliere ich in Torvaianica, Rom zwei grafische Formverläufe; einen nach Architektur, den anderen nach einer Flußsituation. Über die Verdreifachung beider Formen mittels einer planimetrischen Gleichung entsteht zuerst in der Fläche, dann im Raum ein komplexes Netz von Projektionen. Mein Interesse bezieht sich auf Ordnungsvielfalt im Bezug zu orthogonal-organischer Polarität (1).
Die Reliefserie A.B.,F. nimmt dieselben Ausgangsmotive und Differenzierungsgesetze auf. Zwei-Höhen Relief und serielle Gliederung evozieren eine unmittelbare Ablesung des Konzepts, die Dreierdifferenzierung ist zu einem Grenzwert nivelliert, das Gefüge der Reihung sind a,b,c
Folgen in Spannung mit Sprüngen, Rhythmuswechsel, Leeren, usw.
Ist die Formel für die Mutationen bis hierher a²+ b²= c², beginne ich bei dieser Gleichung den Potenzfaktor zu variieren: Den Quadranten ersetze ich mit hoch 5, hoch 9, hoch 13, hoch 17, oder multipliziere alle Parameter mit 0.5, 0.9, 1.3, 1.7. Mit ay:ax = 2.0:0.5, by:bx = 1.75:0.75 entwickelt sich ein Viererschema
xa² + xb² = xc², (xa²yc²) + (xb²ya²) = (xc²yb²),
ya² + yb² = yc², (ya²xb²) + (yb²xc²) = (yc²xa²) und ergibt pro Potenz- bzw. Multiplikatorreihe 4x4 Gleichungen, die, als xy-Koordinaten gepaart, in einem Achsenkreuz-Ordnungsmodul rhythmisch-dynamisch alterieren.
Das grafische Bild sind geschlossene Vierecke zum Teil über Kreuz, größtenteils in der Potenzfolge s ,s s 17. Zwei geschlossene Vierecke in der Fläche ergeben ein offenes im Raum, als Material für Vergegenständlichungsversuche wähle ich Vierkantrohr. Ich fertige 16 und 12 Viererformen zweierlei Maßstabes, und erprobe im Spielraum von Ordnungsmustern und technischer Norm ihre Flexibilität oder Multiplität.

Dynamik und optische Leichtigkeit des Geschehens binden bzw. kontrastieren bei Rauminstallationen mit Kuben, transparenten Formrohr-Kästen in Eigenfarbe. Sie entsprechen den Rechteck-Blechtafeln der Reliefs. Die Priorität verlagert sich vom spitzen oder stumpfen zum rechten Winkel.

Ich konzipiere Reihen von Flächen/Volumen mit additiven oder progressiven Parameterfolgen, entwickle eine unterschwellige Dualität zwischen den Gesetzen des Raumes und jenen der Plastik. So in der Spannung Sportplatzsymmetrie – Flucht einer projektiven Kubenreihe (2), oder zwischen linearen Stützpfeiler- oder Fensterfolgen und progressiven Kübelserien (3). Die Dualität wiederholt sich im Objekt: Längengleiche Drehstahl-Fühler bzw. der Versteifungsflansch divergieren mit der Veränderung der Kuben(Kübel)kantenmaße, die Reihe der Kuben(Kübel)zwischenabstände ist den Kuben(Kübel)parameterreihen ungleich (2,3). In der Profilsystem-Platten Installation Spet515 nivellieren sich Ansätze der perspektivischen Projektion des Profilrasters und solche der Plattenreihenprojektion durch gegenläufige Fluchten; bei Spidi480 korrespondieren lineare und progressive Folgen von Dimension zu Dimension im 2D-Raster. Die Resultate sind unbestimmte Spannungen, Dissonanzen, konkrete Irritationen.





Und damit wir alle endlich wissen, was Kunst wirklich ist, noch dies:
(Aus einem Gespräch Leo Zogmayers mit dem Philosophen Karl Baier)


Karl Baier: Du scheinst davon auszugehen, dass eine Kunst, die nicht in die ueblichen Oberflaechlichkeiten verstrickt ist, etwas zur Befreiung des Menschen beitragen kann. Ist das nicht ein zu hoch gesteckter Anspruch?

Leo Zogmayer: Kunst vermag doch sonst nichts! Das Gemachte, die Taeuschung soll verblassen. Ende. Nichts ist wichtig. Kunst ist schwerelos. Egal in welche Gewichtungen sie einbricht. Alles dreht sich und feiert leise. Formen, Namen werden durchsichtig. Kunst muss Einbildungen, ueberhaupt alles Gebildete ausloeschen. Die Welt verstummt. Und es wird sichtbar, was wir begreifen wollten. Wenn der Raum der Ansprachen und Ansprueche sich ins Offene entgrenzt. Das ist Kunst. Frei.



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